Rezepte gegen die bilaterale Eiszeit
Die Beziehungen der Schweiz zur EU sind an einem Wendepunkt angelangt – zumindest darüber ist man sich an diesem Montagabend in Basel weitgehend einig. Eingeladen haben die Handelskammer beider Basel (HKBB) und weitere Wirtschaftskammern zu einer europolitischen «Werkstatt». Sie steht unter der Leitfrage: «Hat der bilaterale Weg eine Zukunft?» Rasch wird klar, dass es darauf keine eindeutige Antwort gibt. Schaut man sich allein die Schweizer Seite dann, dann muss man die Frage bejahen. Aber es gibt eben auch die europäische Sichtweise, auch wenn diese hierzulande gerne ignoriert wird, wie Europarechtsexpertin Christa Tobler anmahnt.
Der Plan B des Bundesrats
Zunächst aber legt Staatssekretärin Livia Leu, Schweizer Chefunterhändlerin in der Endphase des Rahmenabkommens, die bundesrätliche Position dar. «Der sektorielle Zugang zum europäischen Binnenmarkt unter Wahrung der grösstmöglichen Souveränität hat sich bewährt.» Diesen Weg wolle die Landesregierung weiter beschreiten, auch ohne institutionellen Rahmenvertrag. Den bundesrätlichen Plan B fasst sie in vier Punkten zusammen: Die Kohäsionsmilliarde deblockieren, die Beziehungen pflegen, autonom Regelungen an EU-Standards anpassen und Auffangmassnahmen umsetzen. «Wir müssen und wollen nun nach vorne blicken.» Tobler allerdings bezweifelt, dass das ausreichen wird: «Es würde mich doch sehr wundern, wenn man den bilateralen Weg einfach so weiterführen könnte. Die Herausforderung ist nach dem Abbruch genau dieselbe wie vor dem Abbruch.»
Kurzfristiger Fokus: Schadensbegrenzung
Selbst Philip Erzinger, der den Verhandlungsabbruch als Geschäftsführer der Vereinigung Kompass/Europa bejubelt hat, rechnet nun mit einer bilateralen Eiszeit, die einige Monate, aber auch bis zu drei Jahre dauern könne. Er will abwarten, bis sich die Lage beruhigt hat, und dann wieder auf die europäischen Partner zugehen. Ausserdem solle sich die Schweiz in Brüssel entschuldigen: «Wir haben in den letzten Jahren vieles nicht gut gemacht.» Matthias Leuenberger, Präsident von scienceindustries, hält davon wenig. Wichter sei nun eine aktive Schadensbegrenzung, vor allem im Forschungsbereich. Die Kohäsionsmilliarde soll sofort freigegeben werden, damit die Schweiz die Gespräche um die Teilnahme am Forschungsrahmenprogramm «Horizon Europe» aufnehmen kann.
Dass der bilaterale Weg beschädigt worden ist, stellt in dieser Runde kaum jemand in Frage. Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin und HKBB-Präsidentin, wirft dem Bundesrat denn auch vor, die Kosten eines Verhandlungsabbruchs nie transparent kommuniziert zu haben. Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher ergänzt, dass vor allem die Art und Weise des Entscheids viel Unsicherheit gestiftet habe. Nun müsse die Schweiz mit weiteren Nadelstichen rechnen, «aber wir wissen nicht, aus welcher Richtung diese kommen werden».
Wie weiter?
Auf dem Podium glaubt niemand, dass man nun einfach zur Tagesordnung übergehen sollte. Gefordert wird ein Dialog – mit der EU, mit einzelnen Verbündeten Staaten und Organisationen in Europa, aber auch im Innern zwischen Politik und Wirtschaft. Dem Rahmenabkommen nachtrauern bringe nichts, man müsse sich nun zusammenraufen. Für den Basler Regierungspräsidenten Beat Jans braucht es aber insbesondere wieder eine Lokomotive für die Bilateralen – Bundesrat und Parlament hätten in dieser Rolle versagt. Es müsse nun wieder jemand hinstehen und Verantwortung übernehmen. «Denn ein Zug, der nur aus Waggons besteht, der fährt nicht.»
Die Werkstatt Basel zum Nachschauen:
Mehr zu den Chancen und Herausforderungen der Schweizer Europolitik im Podcast von stark+vernetzt:
www.europapolitik.ch/de/Ohren-auf-stark-vernetzt-startet-neuen-Polit-Podcast